Ewig weiterlesen? Das geht nicht, aber bisschen weniger als ewig krieg ich hin
Teil 7-10
Zu dem Gesprochenen:
Schatten -
Kia -
BruderSchatten - Teil 7
Am späten Vormittag erwachte Schatten und hob müde den Kopf. Verschlafen blinzelte er zum Wald hinüber, von dem noch immer Rauch in den Himmel aufstieg, der dann wie graue Wolken vom Wind über die Welt getrieben wurde und sich irgendwann einfach auflöste, als wäre er nie da gewesen.
Das Feuer aber schien verloschen zu sein, dennoch sah Schatten einige Menschen, die durch den Wald liefen und unentdeckte, kleine Flammen löschten. Schatten wusste von wo sie kamen, aus der Stadt auf der anderen Seite des Waldes, der nun kaum mehr Wald zu nennen war. Er schüttelte den Kopf, immerhin war er noch immer davon überzeugt, dass das Feuer die Schuld unvorsichtiger Menschen war.
Schatten löste seinen Blick von den Menschen und betrachtete nachdenklich den Wald, der größtenteils vom Feuer zerstört worden war. Er seufzte. Das war also aus seiner Heimat geworden? Ein trostloses Stück Land, auf dem höchstens noch die Menschen ihre Städte bauen konnten?
Wieder schloss Schatten seine Augen und legte den Kopf wieder zurück auf die dunklen Pfoten, lauschte dem leisen Atem seiner kleinen Schwester und dem sanften Flüsterndes Windes, der durch sein Fell und Kias strich. Noch im Schlaf rückte seine kleine Schwester näher an ihn heran, suchte ängstlich seine Nähe. Doch wenigstens zitterte sie nicht mehr.
Schon bald kehrten seine Gedanken zum Wald zurück, zu Asche und Rauch, Feuer und Zerstörung. Nur noch Steine und kahles, trostloses Land waren vom Wald geblieben.
Vorsichtig stand Schatten auf, achtete genau darauf, dass seine Schwester, die ihren kleinen Kopf tief in seinem dunklen Fell vergraben hatte, nicht aufwachte. Verschlafen gähnte er und streckte sich, versuchte die Müdigkeit endlich von sich abzuschütteln.
Sein Blick fiel auf den Baum unter dem er und seine Schwester geschlafen hatten. Kurz dachte er nach, dann kletterte er geschickt den Stamm hinauf und ließ sich auf einem dicken, aber niedrigen Ast nieder und blickte über das absteigende Land zum Wald hinunter. Außer Asche und Rauch sah er fast nichts, nur ein leichtes Flimmern von Licht hinter der dicken Rauchwand, die Menschenstadt im Tal. Wald aber sah er keinen mehr...
Schnell wand er den Blick von den Ruinen seinem Heimatwald ab, sah in die andere Richtung, den Berg hinauf. Dort befand sich ebenfalls ein kleines Waldstück, das das Feuer nicht erreicht hatte. Dort hatte er gejagt, seit er seine Familie verlassen hatte, weil er wusste, dass es in seinem Heimatwald nicht mehr genügend Beute gab, vor allem nicht wenn auch noch Katzen aus der namenlosen Stadt dort jagten.
Dann blickte er nach links, wo sich eben diese Stadt befand, die Stadt in der er lebte, seine neue Heimat. Sie lag weit entfernt von der ansteigenden Ebene, befand sich aber dennoch zwischen dem hohen Wald, den er zum jagen nutzte, und dem tiefen Wald, der nun wohl völlig ausgelöscht worden war, genauso wie seine Bewohner.
Plötzlich zuckte Schatten zusammen, als er ein leises Murmeln hörte. Seine schwarzen Ohren zuckten und drehten sich in die Richtung aus der das Geräusch kam, während sich Schatten vorbeugte um besser lauschen zu können.
„
Mama?“
Das war unverkennbar die Stimme seiner kleinen Schwester, die im Schlaf sprach. Ihre Stimme klang ängstlich und war ganz leise, auch Traurigkeit spürte Schatten, wenn er Kia zuhörte.
„
Mama? Wo bist du?“
Kias leise Stimme war lauter geworden und die Angst fast schon spürbar. Sofort stieß sich Schatten von seinem Ast ab, landete leise neben seiner Schwester auf dem Boden. Im Schatten war das Gras noch feucht, obwohl er vom Himmel ablesen konnte, dass die Sonne bald hoch am Himmel stehen würde. Hauskatzen nannten diese Zeit des Tages ‚Mittag’, so wie die Menschen auch. Schatten aber war die Bezeichnung der Zeit nicht so wichtig, dagegen interessierte es ihn umso mehr, dass er während dieser Zeit die wenigsten Menschen im Wald traf und er so mehr Beute fing.
Langsam trat Schatten näher an Kia heran, lauschte weiterhin dem leisen Murmeln und leckte ihr dann kurz sanft durch das hellgraue Fell. Es schmeckte nach Asche und Rauch, genauso roch es auch, weswegen Schatten seinen Kopf wieder hob. Der Geruch erinnerte ihn an seine Mutter, deren Fell bei ihrem Tod genauso gerochen hatte. Er wusste, dass es eine Weile dauern würde, doch bald würde Kia wieder ihren eigenen Geruch annehmen und den von Asche und Rauch würde er hoffentlich nie wieder in diesem hellen Fell riechen. Noch immer stand er neben seiner kleinen Schwester, lauschte ihrem Atem und dem leisen Gemurmel, bis dieses schließlich verstummte. Er wusste nicht genau weshalb, aber er machte sich Sorgen um seine Schwester, um ihre Zukunft.
„Es geht ihr gut“, murmelte eine Stimme beruhigend neben ihm, es war die einer Katze. Schatten nickte ohne wirklich darauf zu achten wer mit ihm sprach, er merkte noch nicht einmal, dass ihm diese Stimme bekannt vorkam, so sehr war er mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt.
„Geh jagen, Schatten“, fuhr die Stimme sanft fort. „Ich passe auf sie auf.“
Er nickte erneut. Langsam ging er um Kia herum ohne der anderen Katze zu begegnen und lief dann ebenfalls langsam los. Seine Pfoten fühlten sich seltsam schwer, als hätte man ihm Steine an diese gebunden. Der Gedanke etwas Falsches zu tun verirrte sich in sein Denken, als hätte er seine Schwester verlassen um so etwas Verbotenes zu tun. Immerhin war sie das einzige lebende Mitglied seiner Familie von dem er wusste. Sicher lebten noch einige mehr seiner Verwandten, irgendwo. Geschwister, die seine Familie lange vor ihm verlassen hatten. Vielleicht sogar sein Vater, den er nie gesehen hatte, dessen Namen er noch nicht einmal kannte.
Obwohl er jagen gehen wollte, lief Schatten in die entgegen gesetzte Richtung, in den tiefen Wald, der wie ein Schlachtgeld vor ihm lag. Ein Schlachtfeld auf dem ein ungleicher Kampf geführt worden war, den viele verloren hatten. Er konnte noch immer die heiße Wärme spüren, die das verloschene Feuer in der Luft hinterlassen hatte, und er roch den schweren Geruch des Rauches, der den vergangenen Wald fast vollkommen einhüllte.
Trotz des Gefühls der Schwere schaffte es Schatten seine Schritte zu beschleunigen und rannte weiter. Bald schon erreichte er den Waldrand, sprang über das ausgetrocknete Flussbett, das fast dreimal so tief war, wie Schatten groß. Früher einmal hatte er hier Wasser gefunden, jetzt nur noch harten Schlamm.
Sein Weg führte ihn über gefallene Bäume, kleine, noch lodernde, Flämmchen, die noch von Menschen gelöscht wurden oder die der Wind auszublasen versuchte.
Dann erreichte Schatten auch schon die Lichtung, auf der er in der Nacht den Körper seiner verlorenen Mutter einsam zurückgelassen hatte um seine kleine Schwester zu retten, die er hier gefunden hatte. Noch immer lag der Körper seiner Mutter dort, friedlich, vom Feuer nicht berührt.
Zitternd kam er, ihr Sohn, näher und ließ sich neben ihr in das verdorrte Gras fallen, blickte sie traurig an.
„
Wir vermissen dich“, flüsterte er mit vor Traurigkeit heiserer Stimme und legte seine rechte Vorderpfote auf die seiner Mutter, vergrub sich noch einmal wie ein schutzloses Neugeborenes in dem dunkelgrauen Fell seiner Mutter.
Dann aber hörte er die tiefen, donnernden Stimmen eines Menschen und zuckte zusammen, hob sofort den Kopf. Er spürte die schweren Schritte auf dem Boden, sah sich erschrocken nach einem Versteck um, wollte dann aber seine Mutter nicht zurücklassen und stellte sich schützend vor ihren leblosen Körper.
Schatten - Teil 8
Knackend wurde das verkohlte Geäst zweier großer, gefallener Bäume von kräftigen Menschenhänden zur Seite geschoben, einige Äste brachen ab, andere zerfielen einfach zu Asche und landeten auf dem Boden.
Ein schmaler, nicht sehr stark aussehender Junge mit dunkelbraunem, kurzem Haar trat durch den neu entstandenen Durchgang hindurch und sah sich schnell auf der Lichtung um. Er sprach etwas in einer Sprache, die Schatten als Menschensprache erkannte.
Alles zerstört, hauchte die leise Stimme aus Schattens Träumen in seinen Gedanken.
Das waren seine Worte, stellte Schatten verwundert fest und versuchte gleichzeitig die Stimme seiner Gedanken zu fragen, ob seine Feststellung stimmte, als er den Jungen weiterhin ansah.
Nun fiel auch der Blick des Jungen auf den Kater, der schweigend vor dem toten Körper seiner Mutter stand. Fragend sah der Junge den Kater aus seinen braunen Augen heraus an und sprach wieder etwas, dass die Stimme aus Schattens Gedanken sofort mit einem geflüsterten
Wer bist denn du? übersetzte.
Schnell wich Schatten einen Schritt zurück, stieß dabei aber kurz leicht gegen den Körper seiner Mutter und sprang sofort wieder nach vorne. Langsam kam der Junge näher, versuchte flüsternd und beruhigend auf den Kater einzureden. Leise erklang Schattens Fauchen, als er versuchte den leblosen Körper seiner Mutter zu beschützen, fast so, als würde sie noch leben. Doch der Junge kam noch immer näher, streckte dann sogar die Hand nach dem jungen Kater aus und versuchte ihn zu fassen.
Schattens Fauchen wurde lauter, aggressiver, sein schwarzes Fell sträubte sich wütend und er versuchte damit den Jungen fortzujagen. Wenn er Schatten noch näher kommen würde, würde der Kater die Krallen ausfahren und kämpfen.
Doch plötzlich spürte er eine Menschenhand an seinem Bauch, die ihn ungeschickt hochzuheben versuchte. Kurz verstummte Schatten verwirrt, dann aber wurde sein Fauchen noch lauter, wütender und er versuchte den Menschen mit den Krallen zu treffen, als der Junge wieder vor ihm stand.
Nimm du ihn, flüsterte die Stimme die Übersetzung der Worte des Mannes, der versuchte Schatten zu halten. Dann packte der Junge den Kater am Nackenfell und zog ihn auf seine Arme, versuchte beruhigend auf ihn einzureden, doch Schatten wollte sich nicht beruhigen.
Alles wird gut, dir wird nichts passieren, flüsterte die Stimme die Worte des Jungen in der Sprache der Katzen.
Ich bringe dich hier weg, fuhr die Stimme fort, als der Junge weiterredete.
Du wirst ein schönes Zuhause bei uns finden, keine Angst. Schatten knurrte laut und versuchte sich aus dem Griff des Jungen zu entwinden, als dieser versuchte ihn zu streicheln. Plötzlich aber hielt der Kater inne, weil ein kräftiger, großgewachsener Mann mit dunklen Haaren den toten Körper seiner Mutter entdeckte und vom Boden aufhob. Nachdenklich sagte er etwas zu dem Jungen, dass die Stimme ebenfalls nachdenklich übersetzte. Schatten zuckte zusammen als er es so direkt hörte, er wusste das es so war, aber er hatte es noch nicht von jemand anderem gehört:
Tod. Wieder flackerte die Wut in Schatten auf, verdrängte die Angst vor den Menschen vollkommen aus Schattens denken und er blendete alles aus, wollte nur noch seine Mutter aus den Händen der Menschen retten, wollte sie zurück bekommen.
Wütend riss er sich blitzschnell aus dem Griff des Jungen los und sprang fauchend auf den Mann zu, stieß aufgebracht seine spitzen Krallen in die Arme und Hände des Mannes und hinterließ tiefe, blutende Wunden.
Wegen des plötzlichen Angriffs und des Schmerzes ließ der Mann die leblose Katze fallen, schüttelte hastig den fauchenden Kater ab und hielt mit schmerzverzerrtem Gesicht eine Hand auf den verletzten Arm.
Blödes Vieh!, übersetzte die Stimme die knurrenden Worte des Mannes.
Sobald Schatten auf dem Boden landete, packte er den toten Körper seiner Mutter und rannte blindlings los, verwirrt durch die Worte der Menschen und den Geruch von Blut, Rauch und Asche. Auch die Gefühle, die die Menschen empfanden und die auf den Kater einstürzten, verwirrten Schatten. Angst, Verzweiflung, Verwirrung, Überraschung...
Lasst den Kater in Ruhe!, rief die Stimme des Jungen verzweifelt.
Er weiß nicht was er tut! Schatten aber wusste genau was er tat, er rannte. Er brachte seine Mutter in Sicherheit, egal ob tot oder lebendig, er wollte sie den Menschen nicht überlassen. Auf einmal spürte er eine Hand auf seinem Rücken.
Bleib hier, raunte die Stimme die Worte des Jungen.
Entschlossen schüttelte Schatten die Hand ab und rannte weiter, der Junge versuchte noch einmal ihn zu fangen, aber Schatten war schneller.
Die Stimme seiner Gedanken verstummte, obwohl Schatten die Stimmen der Menschen noch immer hinter sich hörte. Das laute Fluchen, das Rascheln von Verband um die blutende Wunde zu verbinden und immer wieder die leise Stimme des Jungen, der noch immer versuchte Schatten zu fangen. Doch nach einiger Zeit verstummte auch diese, als Schatten den Jungen abgehängt hatte.
Völlig außer Atem ließ Schatten sanft den Körper seiner Mutter zu Boden gleiten und sah sich ein wenig verwundert um, als er den Geruch von Gras, Blättern, Rinde und sogar den entfernten Geruch von Wasser wahrnahm. Er war weit gelaufen und so in einen entfernten Teil des Waldes gekommen, der vom Feuer verschont worden war. Vor und hinter sich sah Schatten nur Wald, überall um sich herum. Forschend hob er die Nase in den Wind und suchte nach vertrauten Gerüchen. Eichen... Gras... Wasser... Mäuse... Meisen...
Ein weiterer Geruch stieg ihm in die Nase und er öffnete die Augen wieder um sich erstaunt um zu sehen. Der Geruch gehörte eindeutig zu einer Katze und kam Schatten auf eine seltsame Weise bekannt vor, als hätte er den Geruch vor langer Zeit einmal gerochen hatte.
Sofort ließ er sich neben den Körper seiner Mutter fallen, erst jetzt bemerkte er wieder wie atemlos er war. Seine Atmung ging schnell und so versuchte er diese wieder zu beruhigen. Müde schloss er die Augen und konzentrierte sich nur noch auf das Atmen. Nach einiger Zeit beruhigte er sich so wieder etwas und stellte die Ohren wieder steil auf um alle Geräusche aufzufangen und so nicht plötzlich überrascht zu werden.
Zuerst blieb alles still, dann aber hörte er leise Schritte und öffnete wieder seine grünen Augen.
Ein kleiner Kater war näher an Schatten heran getreten. Er war ungefähr in Kias Alter, sein Fell war mit Schlamm verdreckt und auch wenn er einige Schritte von Schatten entfernt war, konnte er den starken, schweren Geruch von Rauch riechen.
Langsam erhob sich Schatten und sah den Kater forschend an. Bei genauerem hinsehen sah er, dass das Fell des Katers dunkelgrau war, es war dieselbe Farbe wie beim Fell seiner Mutter. Der Bauch des Katers war hellgrau, genauso wie seine rechte Vorderpfote. Das Fell um das Maul und die Nase des Kleinen war silbergrau und schimmerte im Licht der Abenddämmerung. Plötzlich wurde Schatten klar wie lange er schon fort war, aber dann bemerkte er etwas anderes und starrte den Kater verwirrt an.
Der kleine war unverkennbar der scheue, kleine Kater aus Schattens Träumen. Erst jetzt fiel ihm auch auf, dass das junge Kätzchen, das er gerettet hatte, seine Schwester Kia war und die Mutter der Beiden auch seine Mutter.
Ohne es wirklich zu wissen, sprach Schatten aus was er dachte:
„
Du bist mein Bruder“
Schatten - Teil 9
Verwirrt blickte der kleine, graue Kater Schatten an. Sein Blick aber verriet auch, dass er etwas unsicher über seine Worte, die er noch äußern wollte.
„
Brüder?“, fragte er schließlich ungläubig und trat zögernd einen Schritt näher an Schatten heran, musterte ihn. Die dunkelgraue Katze, die leblos zwischen den Beiden lag, schienen Beide nicht mehr wirklich wahrzunehmen, als hätten sie sie einfach vergessen, in ihrem Gespräch ausgeblendet. Sie bemerkten die Katze, ihre Mutter nicht mehr.
Der Kleine betrachtete Schatten, legte den Kopf leicht fragend schief und schüttelte diesen dann entschlossen. Seine hellblauen Augen funkelten kurz, als ein Lichtstrahl der untergehenden Sonne sie traf. Die Pupillen zogen sich blitzschnell schlitzförmig zusammen und gaben so ein Stück mehr der farbigen Iris frei, ein kleines Stück, das grünlich schimmerte, wie Schattens Augen... und die seiner Mutter zu früheren Zeiten.
Schatten hatte dieselbe Augenfarbe gehabt wie seine Mutter. Auch seine Geschwister, die am selben Tag wie er geboren worden waren, hatten dieselbe Augenfarbe gehabt. Bei allen war es dasselbe dunkle Grün, das, wenn das Licht auf es fiel, strahlend smaragdgrün wurde.
„
Nein“, sagte der Kleine knapp, aber entschlossen und riss Schatten mit diesen Worten aus seinen Gedanken über seine Familie. „
Du kannst nicht mein Bruder sein.“
Kurz sah Schatten verwirrt aus, diese Antwort überraschte ihn auf eine gewisse Art, weil er sich so sicher gewesen war, dass er Recht hatte. Unauffällig suchte er in der Luft nach dem Geruch des Katers, den er dann auch fand.
Er riecht fast genau wie Kia, oder wie... Er dachte seinen Gedanken nicht zu Ende, wagte es noch nicht einmal auf seine Mutter hinunter zu sehen, sondern sah den Kleinen wieder an, als seine Verwirrung sich gelegt hatte.
„
Warum nicht?“, fragte Schatten und trat ebenfalls einen Schritt näher, achtete aber genau darauf seine Pfoten auf freies Land zu setzen und nicht seine Mutter zu treffen, dann erst bemerkte er, dass auch der Jüngere die dunkelgraue Katze nicht einmal mit den Pfote gestreift hatte und der Gedanke, dass der Kleine sie überhaupt nicht gesehen hatte, meldete sich in Schattens Kopf.
Dann aber konzentrierte er sich wieder auf den Kleinen und verzog seine Augen zu schmalen Schlitzen, als er den Kater mit diesen fixierte und sich zu ihm vorbeugte um so ungefähr auf Augenhöhe mit ihm zu sein.
Auch die hellblauen Augen des jüngeren Katers, die genau dieselbe Farbe hatten wie Kias Augen, verengten sich zu schmalen Schlitzen, als er sich nun ebenfalls vorbeugte. Dadurch hatte er seinen Kopf nun aber auch wieder ein Stück gesenkt und konnte Schatten nicht mehr richtig ansehen, das brachte den Kleinen dazu, den Kopf wieder zu heben und einen Schritt vor zu gehen um Schatten dann nur wieder anzusehen.
Auf irgendeine Weise war der Blick des Jüngeren ein wenig feindselig, als wollte er sofort angreifen, wenn Schatten sich nur bewegte. Im Gegensatz dazu war Schattens Blick noch immer ein wenig verwirrt, aber auch enttäuscht. Warum wollte der Kleine ihm nicht einfach glauben, dass sie Bruder waren? Schatten konnte es sehen, riechen, tief in seinem Inneren spürte er es sogar fast und hören konnte er es auch, denn die Stimme des Kleinen klang zwar nicht so wie Kias, doch ganz leicht erinnerte sie Schatten an die Stimme seiner kleinen Schwester.
„
Du siehst anders aus“, erklärte der Kleine, als wäre er eine Mutter, die versuchte ihrem Jungen beizubringen wie man richtig jagt, dieses aber nicht glaubt, was es da gesagt bekommt. „
Du hast keine Ähnlichkeit mit meinen Geschwistern oder meiner Mutter, ich hab dich nie zuvor gesehen.“
Schon zog der Kleine seinen Kopf wieder zurück und ging einen Schritt zurück, als er die leichte Wut sah, die in Schattens Augen aufflackerte, als dieser den Ton hörte indem der Jüngere mit ihm sprach. Fast hätte er begonnen zu knurren, doch schnell erstickte er dieses und zog sich ebenfalls wieder auf die Stelle zurück, auf der er vorhin auch gestanden hatte.
Als er dann aber den Kopf leicht schief legte und den Kleinen erneut musternd und fragend ansah, verrieten die Augen des Jüngeren Schatten, dass das seinen Gegenüber verwirrt hatte.
„
Wenn du meinst“, schnurrte Schatten und versuchte amüsiert zu klingen, er hoffte den Kleinen weiterhin zu verwirren, vielleicht würde er ihm dann doch noch glauben. „
Dann werde ich besser wieder gehen, Kia wartet sicher auf die...“
„
Kia?“ Die Augen des Jüngeren leuchteten erfreut auf, dann aber wurde er wieder ernst, leicht wütend sogar. „
Wo ist sie?“, fauchte er leise. „
Warum ist sie bei dir...“
„
Beruhig dich“, sagte Schatten sanft und leise, kurz sah es fast so aus, als würde er lächeln. „
Ihr geht es gut...“ Der Graue wurde merklich ruhiger. „
... Ich achte schon auf meine kleine Schwester.“
„
Sie ist nicht deine Schwester!“, knurrte er nun wütend und schnellte vor, stieß dabei gegen den bewegungslosen Körper der Katze zwischen ihnen und stolperte. Er wollte sich noch auffangen und sich auf Schatten stürzen, doch als er sah über wen er gestolpert war, ließ er sich einfach in das trockene Gras fallen, als wäre er ein Stein, der von einer Klippe gestoßen wurde, der sich nicht auffangen konnte und hinunter stürzte...
Seine hellen Augen weiteten sich erschrocken, ängstlich und auch verzweifelt, während sich die Angst und die Trauer wie ein Schatten über das Gesicht des jungen Katers legten und die Stärke, den Mut und die Furchtlosigkeit von ihm abwuschen.
„
Mama?“, hauchte er leise und schob sich über das trockene Gras näher an sie heran, vergrub sein Gesicht wimmernd in ihrem Fell. Seine Stimme war so leise, als hätte der Wind gesprochen und so zerbrechlich, wie ein gefallenes Blatt im Herbst oder die unsichtbaren Wände, die die Hauskatzen, wie die Menschen auch, ‚Glas’ nannten.
Genau wie ich, dachte Schatten traurig, als er sah, wie der Kleine versuchte den Geruch seiner Mutter in ihrem Fell zu finden, das nach Asche, Rauch und Menschen roch. Leise stellte sich Schatten neben den Kleinen, sagte aber nichts. Dafür war nicht der richtige Augenblick.
Kurz warf er einen Blick in den Himmel, der dunkler geworden war.
Es ist bald Nacht, flüsterte die seltsame Stimme leise in Schattens Gedanken, aber er bemerkte sofort, dass sie dieses Mal keine Menschenworte übersetzte und das beruhigte ihn sehr. Die Stimme war zu leise und zu sanft für Menschenworte, deren Ton sie bei der Übersetzung sie meist größtenteils beibehielt.
Aber Kia geht es gut. Er nickte und ließ sich dann vorsichtig neben dem Kater ins Gras sinken. Der Kleine wirkte nicht mehr wie ein starker Kämpfer, ein furchtloser Krieger, der sich allen Gefahren in den Weg stellt und vor nichts zurückschreckt, sondern wie ein kleines, verängstigtes Kätzchen, das auf Hilfe angewiesen ist um nicht in einem Meer aus Trauer und Angst zu versinken.
Nur kurz und auch ganz sanft stieß Schatten den Kleinen versehentlich mit einer seiner Pfoten an, doch das reichte schon damit dieser den Kopf hob und ihn fragend ansah.
Die Trauer in seinem Blick versetzte Schatten einen Schmerz tief in seinem Herzen, keiner seiner Familie sollte jemals so traurig sein.
Versagt, knurrte er in seinen Gedanken.
Es ist meine Schuld, dass er es hier erfahren muss, ohne Kia. „
Letzte Nacht“, murmelte Schatten, nachdem er die Gedanken an sein Versagen abgeschüttelt hatte und nickte traurig. Es war dieselbe Antwort auf dieselbe ungestellte Frage wie bei Kia in der Nacht des Feuers und es war dieselbe tiefe Traurigkeit, die sich nun in Schattens Herz schob, als er diese Antwort nun auch seinem Bruder gab.
„
Warum...?“, hauchte der Kleine verzweifelt und rückte noch ein Stück näher an den kalten Körper seiner Mutter heran. Doch Schatten schüttelte nur den Kopf, das wollte er seinem Bruder ersparen. Dieser senkte den Kopf wieder und vergrub ihn erneut im Fell seiner Mutter. Seines hatte denselben Grauton und so war es schwer zu unterscheiden wo sein Bruder nun genau lag und was davon zum Fell seiner Mutter gehörte.
„
Es ist Nacht“, flüsterte Schatten und blickte den Kleinen sanft an, während er langsam aufstand um ihn alleine zu lassen. „
Versuche zu schlafen.“
„
Geh nicht...“, wimmerte das Kätzchen zu seinen Pfoten verzweifelt und versuchte ängstlich sich an Schattens Bein festzuhalten. Erstaunt sah dieser den Kleinen an und hob ihn dann am Nackenfell hoch um ihn vor sich wieder abzusetzen.
„
Warum nicht?“, fragte Schatten ganz sanft und beugte sich zu dem Kater hinunter um dessen leise Worte zwischen dem Wimmern zu verstehen.
„
Ich... will nicht alleine sein“, winselte der Kleine und taumelte einen Schritt näher. „
Bleib bei mir... du bist... doch mein... Bruder.“
„
Bin ich das?“, fragte Schatten nun erneut leise und setzte sich vor den Kleinen auf das trockene Gras. Ein wenig verwunderte ihn schon, dass der Kleine plötzlich doch glaubte, dass sie Brüder waren. Vorhin war er noch fest davon überzeugt gewesen, dass das nicht stimmt. „
Wieso glaubst du es jetzt doch?“
Zitternd hob der Kleine den Kopf, die Trauer nahm ihm alle Kraft. „
Nur jemand... der aus meiner Familie ist...“, flüsterte er und taumelte zitternd näher an Schatten heran, ließ sich dann einfach gegen ihn fallen, weil er keine Kraft mehr hatte. „
... würde so lange bei... mir bleiben, wenn ich... neben meiner...“ Er rang nach Worten, wollte nicht ‚tot’ sagen und entschied sich dazu, einfach eine Pause anstelle dieses endgültigen Wortes zu setzen. „
... Mutter bin und... trauere. Keiner... würde... genauso fühlen... wie ich.“
Dann brach die Stimme des Kleinen einfach weg und er sackte zitternd vor Schattens Pfoten zusammen, so wie in der letzten Nacht Kia. Es war zu viel für ihn gewesen, so wie es auch zu viel für sie gewesen war.
Sofort packte Schatten seinen Bruder am Nackenfell und hob ihn sanft hoch, während er selbst aufstand. Dann wendete er sich von seiner verstorbenen Mutter ab, hörte noch einmal ein leises Wimmern von dem Kätzchen, das er trug, ging aber weiter auf einen kleinen Hügel zu, der sich zwischen trockenen, dornigen Büschen befand. Während er näher kam, beschleunigte er seine Schritte und sprang dann über einen der Büsche hinweg und legte den kleinen Katzer auf die winzige Lichtung. Noch einmal sah sich Schatten um, legte sich dann neben seinen Bruder, der sich schon zusammengerollt hatte. Noch immer wimmerte und zitterte der Kleine, doch das Wimmern wurde leiser und das Zittern würde schwächer werden, das wusste Schatten. Er bettete seinen Kopf auf seine schwarzen Vorderpfoten und legte seinen Schwanz um sich und den Kleinen, hoffte ihm so mehr Wärme geben zu können, die er nun brauchte.
„
Mamas... Augen“, murmelte der Kleine kurz bevor er einschlief. Schattens Ohren zuckten und er stellte sie wieder steil auf um die leisen Worte besser verstehen zu können. „
... dasselbe Grün... du...“
Schatten nickte leicht und spürte wie sein Bruder zitternd näher rückte.
„
Keine Angst“, schnurrte er leise, beruhigend und schloss seine Augen. „
Ich passe auf dich auf und auf Kia auch, wir gehen zu ihr... Morgen.“
Der Kleine nickte noch und rückte erneut näher, dann war er eingeschlafen...
Schatten - Teil 10
Leise fiel etwas vom Himmel zu Boden. Es war leicht, fiel aber schwer, genau wie seine Kameraden. Sie alle waren klein, stürzten sich in etwas Abstand aus den Wolken und fielen schutzlos dem Boden entgegen, verschmolzen mit diesem und verschwanden in einem Fleck dunklen Nass, das bald wieder heller wurde, wenn nicht bald ein zweiter Springer auf dem selben Landeplatz aufkam.
Eines dieser Wesen landete auf dunklem Grund, verschwand zwischen kurzen, schwarzen Haaren. Ein Weiteres landete kühl daneben, nässte kürzeste Härchen und noch etwas anderes...
Verschlafen öffnete Schatten seine grünen Augen, als er spürte, wie etwas kühles seine Nase berührte, kurz auf ihr verweilte und sich dann seinen Weg nach unten bahnte und mit einem leisen, tröpfelnden Geräusch auf dem Boden landete.
Dann schloss Schatten die Augen wieder, lauschte dem leisen fallen der Regentropfen, die langsam sein Fell nässte und nur den Boden, auf dem er lag, noch trocken ließ. Müde gähnte er und blinzelte, öffnete seine Augen dann aber wieder ganz und blickte sich verwirrt um.
Wo bin ich?, fragte er sich gedanklich und bemerkte seinen kleinen Bruder erst wieder, als dieser sich im Schlaf umdrehte und sein Gesicht in Schattens Fell vergrub. Dann kam die Erinnerung zurück und Schatten erkannte den kleinen Hügel zwischen den dornigen Büschen wieder.
Langsam glitt sein Blick über den Boden, die Büsche, die Bäume und blieb schließlich am dunklen Himmel hängen, der von grauen und fast schwarzen Wolken bedeckt war. Aber am leisen zwitschern der Vögel, die noch auf den Ästen der Bäume hockten, konnte Schatten entnehmen, dass es eigentlich Tag war. Doch bald ließ das Zwitschern nach, als die Vögel sich in ihre geschützten Nester zurückzogen.
Er hob den Kopf um die Wolken besser betrachten zu können, als sich mit einem leisen, fast besorgten Maunzen, das keinerlei Sinn hatte, nicht einmal für eine Katze, die Stimme meldete, die er schon so oft gehört hatte.
Schatten, wo bist du?, fragte die Stimme, nachdem das Maunzen in Schattens Gedanken verklungen war. Sie klang besorgt, nicht sehr, aber Schatten hörte es, so, wie er auch hörte, dass sie nach ihm gesucht hatte, ihn aber nicht gefunden hatte... oder nicht erreicht? Erst als Schatten ihre Worte noch einmal wiederholte, fiel ihm der müde Ton auf, der in ihren Worten mitschwang. Ihm wurde klar, dass er zurückkommen sollte. Zurück zu Kia. Aber er würde nicht ohne ihren Bruder gehen.
Er nickte müde, als wollte er ihr Antworten, blickte dann auf den kleinen Kater hinab, der noch immer an ihrer Seite lag und schlief. Schatten lauschte seinem Atem, legte dann den Kopf wieder auf seine schwarzen Pfoten und schloss die Augen. Dann schwieg er.
Wenn er wieder einschlafen würde, würde er einfach wieder schlafen, auch wenn er wusste, dass er zu Kia zurückkehren sollte. Sein Verstand wusste das, sein Körper aber war vom Laufen müde. Von Feuer und Asche, Rauch und Angst geschwächt und wollte ausruhen, er wollte nur schlafen, wollte all die Angst und das Leid vergessen.
Wieder wurde Schatten von etwas getroffen. Es war klein, nicht hart, aber auch nicht weich und es durchnässte sein Fell, nicht schnell, aber es tat es. Der Regen wurde langsam stärker und der Wind ließ die wenigen Blätter der Bäume rauschen, riss einige von ihrem Ast los, die dann von ihm davon getrieben wurden, ihren Weg durch die Luft fanden. Wenn sie aber zu nass wurden, fielen sie tiefer, landeten auf dem Gras und gaben ihre Nässe auch an dieses weiter.
Erneut hob Schatten müde seinen Kopf, als ihn etwas am Ohr traf. Noch immer müde und verwirrt öffnete er die Augen und sah, wie ein weiterer Regentropfen auf seiner Nase landete. Er verschmolz langsam mit seinem schwarzen Fell, verschwand in diesem. Erst jetzt war Schatten wach genug um zu merken, dass es regnete. Sein Fell war schon nass, auch das des kleinen Katers, aber den Regen selbst hatte Schatten nur gehört, aber dennoch nicht begriffen, dass er fiel.
Schatten hielt sich plötzlich für sehr unaufmerksam und viel zu müde, doch jetzt war er wieder wacher, blickte sich endlich wieder aufmerksam um und sah dann wieder die Wolken an, deren Sinn er nun endlich verstand.
Regen, dachte er erfreut und spürte, wie die Freude langsam seinen ganzen Körper ausfüllte, bis er nur noch Freude verspürte und nichts anderes mehr.
Endlich regnet es! Dann aber dachte er an seinen Heimatwald, für den der Regen nun zu spät kam. Aber Schatten wusste, dass die dort lebenden Tiere den bevorstehenden Winter auch nicht überlebt hätten, wenn so viel Beute gefehlt hätte. Sie waren alle fortgezogen, in den hohen Wald oder in einen anderen, vielleicht auch in die Stadt gegangen um dort bei den Menschen nach Futter zu suchen.
Leise murmelnd rollte sich der kleine Kater auf die andere Seite. Schatten lauschte seinen Worten, verstand aber deren Sinn nicht. Das waren diese Worte, die selbst Katzen, die alle Worte kannten, als einfaches ‚Miau‘ bezeichnen würden, so wie die Menschen die gesamte Sprache der Katzen.
Ihr werdet nass, stellte die Stimme nach einiger Zeit fest, als sich die Freude erst wieder versuchte in Schatten auszubreiten. Dieser schnaubte nur verärgert, wollte doch nun endlich auch mal wieder froh sein. Aber warum musste diese Stimme, deren Besitzer er nicht einmal kannte, immer etwas finden, worüber man sich aufregen konnte? Doch dann sah er ein, dass sie recht hatte.
Vorsichtig stand Schatten auf, schüttelte sich schnell aber antwortete nicht, sondern setzte sich wieder und betrachtete weiterhin den schlafenden Kleinen, neben dem er gelegen hatte, über den er in der Nacht Wache gehalten hatte. Er würde ihn nicht wecken, das war sicher. Schweigend hob Schatten eine seiner Pfoten, betrachtete sie kurz, drehte sie, als wäre sie etwas, dass er noch nie zuvor gesehen hatte. Dann bemerkte er ihre Nässe und leckte über sie im Versuch sie zu säubern.
Unvermittelt sprang er auf, begann zu husten, zu würgen und versuchte den Geschmack loszuwerden, der ihm auf der Zunge brannte wie Feuer auf trockenem Holz und den sogar seine Nase wahrnahm, wie einen scharfen, schneidenden Geruch.
Asche und Rauch, dachte er wütend und schüttelte sein Fell, nichts aber fiel heraus. Sein Fell war zu nass, es hielt die Asche uns sogar den Rauch fest, als wolle es sie in sich behalten, wie einen seltsamen Schatz, hielt sie fest wie eine Mutter ihr Junges, das versucht eine Dummheit zu begehen.
Missmutig knurrte Schatten leise vor sich hin, ging einen Schritt vorwärts und traf dabei seinen kleinen Bruder an der Seite. Hatte der Kleine nicht vorhin noch woanders gelegen? Verwirrt beobachtete Schatten wie sich dieser umdrehte und so kurz vor einen der dornigen Büsche rollte. Glücklicherweise nicht weiter, das wäre schmerzhaft für den Kleinen geworden.
Schatten legte den Kopf leicht schief. Das amüsierte ihn etwas und so ging er über den nassen Boden hinüber und packte den Kleinen vorsichtig im Nackenfell, hob ihn aber nicht hoch, sondern zog ihn nur sanft von den Büschen weg, zurück auf den Hügel. Das aber weckte den Kater nun doch, der sich verwirrt umsah.
„
Die Welt bewegt sich“, murmelte er mit der gleichen verschlafenen Leichtgläubigkeit, der vorhin auch Schatten in seinem Halbschlaf geglaubt hatte, bis er diesen Fehler bemerkte. Schatten schnurrte, ein leiser, beruhigender und sanfter Ton, der von etwas wie Freude und Erleichterung begleitet wurde. Schweigend legte er den Kleinen auf den Boden, leckte ihm über das dunkelgraue Fell und bemerkte den gleichen brennenden Geschmack, den er schon von seinem eigenen Fell kannte.
Hustend wand er sich von dem Kleinen ab, schritt durch den Regen, der sein Fell unbarmherzig weiter nässte und so schwerer machte. Vorteile hatte das für Schatten nicht wirklich und für seinen Bruder auch nicht.
Müde stand nun der Kleine auf, ging einen Schritt auf Schatten zu und stolperte dabei ungeschickt über eine Wurzel, die zu einem hohen Baum gehörte, der etwas abseits des Hügels stand, seine Wurzeln aber weit ausbreitete. Erst taumelte der Kleine, dann fiel er vor Schatten zu Boden.
Er hob den Kopf wieder und Schattens Husten schlug in eine Art Lachen um, als er den Kleinen sah. Sein Fell war mit Gras und Schlamm bedeckt, den der Regen aus dem Boden gemacht hatte und der nun im Fell des kleinen Katers hängen geblieben war. Dieser stand nun auch langsam auf, schüttelte sich. Der Dreck flog nach allen Seiten und sofort verstummte Schattens Lachen. Er wich zurück und versuchte dem Schlamm auszuweichen, doch schon traf ihn etwas am Ohr und er setzte sich, hob die Pfote und wischte es ab.
„
Hey!“, rief er und blickte den Kater an. Dann aber wurde er wieder ruhiger, stand auf und ging zu ihm hinüber. „
Alles in Ordnung?“
„
Ja... fast“, antwortete der Kleine und blickte nun erstmals an sich hinunter. Grau war es wohl eher nicht mehr, dafür aber schlammig braun und dreckig. Aber der Regen würde es waschen, wie er es auch mit den Steinen tat, die Menschenkinder in den Städten mit seltsamen bunten Mustern füllten, Katzen taten so etwas nicht. Dafür dauerte es wegen ihrem Fell aber auch länger bis der Schmutz herausgewaschen war.
Noch einmal schüttelte der Kleine schnell sein dunkelgraues Fell, spritzte Schatten erneut mit Dreck voll und schnurrte zufrieden.
Das kommt davon wenn man ein Junges auslacht, schnurrte die Stimme in Schattens Gedanken fast lachend, während Schatten erneut den Dreck aus seinem Fell wischte, das nun schwarz mit braunen Punkten war.
Dieses Mal aber sagte er nichts zu dem Kleinen, sondern schwieg nur, wartete. Wieder wurde der Regen stärker und so beschloss Schatten, dass es Zeit war aufzubrechen. „
Lass uns gehen“, sagte er zu dem Kleinen und stand auf.
„
Wohin?“, fragte dieser und folgte Schatten, der schon über das dornige Gestrüpp, das viele seiner Blätter durch den Herbst mit seinem Wind verloren hatte, sprang.
Der Kleine sprang nun ebenfalls, aber nicht hoch genug und schrie unerwartet auf, voller Schmerz. Sofort drehte sich Schatten um, lief zu seinem Bruder zurück und packte ihn vorsichtig im Nackenfell. Er hob ihn hoch, löste so die spitzen Dornen aus dem Fell des wimmernden und zitternden Kätzchens, das er jetzt absetzte.
Was ist passiert?, fragte die Stimme besorgt und klang fast so, als hätte dieser Schrei sie aus ihren Träumen gerissen, gleichzeitig aber auch sehr wach und aufmerksam
Schatten schüttelte nur den Kopf, lauschte dem Wimmern seines Bruders, der auf dem Boden lag, nicht weit vom leblosen Körper ihrer Mutter entfernt. Kurz dachte er über sie nach und über das, dass sie zu ihm gesagt hatte, als er einmal ein totes Kätzchen gefunden hatte, von einem Fuchs getötet. Damals war er ängstlich zu seiner Mutter zurückgerannt und hatte es ihr erzählt, sie hatte ihm zugehört und dann gesagt:
Der Körper ist zwar tot, die Seele aber wird sicher weiter leben und durch die Welt gleiten, wie der Wind. Er versuchte sich vorzustellen, dass die Seele seiner Mutter in seiner Nähe war und nun von ihm verlangte, dass er sich um seinen Bruder kümmerte, also drehte er sich wieder um, ließ den Körper seiner Mutter zurück wo er war, in seiner Nässe versunken, und trat auf seinen Bruder zu.
Neben dem Kleinen setzte er sich auf den nassen Boden und betrachtete ihn schweigend, schüttelte erneut den Kopf, dann seufzte er leise. Eine Wunde zog sich über den helleren Bauch des Kleineren und tränkte sein Fell langsam mit dunklem Blut. Schatten beugte sich vor, der Kleine zuckte erst zurück, dann aber ließ er wurde er wieder ruhiger. Dann legte der Schwarze seinen Kopf schief, betrachtete die Wunde genau, die nur langsam aufhören würde zu bluten. Blut würde Feinde anlocken, die leichte Beute fangen wollten. Sie mussten gehen. Aber noch war der Regen stärker und wurde auch immer stärker, durchnässte ihr Fell als wären sie in einen See getaucht, vielleicht noch nasser.
„
Hast du Schmerzen?“, fragte Schatten leise und setzte sich wieder auf, sah dem Kleinen besorgt in die Augen und lauschte seinem Atem, der viel zu schnell ging.
„
Mir ist kalt“, wimmerte der Kleine so leise, dass Schatten die Worte kaum hörte, wollte dann an Schatten heranrücken. Unerwartet zuckte er zurück, als er den Schmerz spürte, der von seiner Wunde ausging. Erneut schlug sein Wimmern in ein schmerzerfülltes Winseln um, mehr noch ein Jaulen oder Heulen. Dann sank er zitternd auf dem Boden zusammen, atmete schwer, nun zu langsam, und man sah ihm an, dass er große Schmerzen hatte und genau das schmerzte auch Schatten.
Er muss hier weg, dachte Schatten und stand wieder auf. „
Ich bringe dich ins Trockene, in Sicherheit“, flüsterte er seinem Bruder zu und hob ihn vorsichtig am Nackenfell hoch. Schatten spürte fast schon wie schwach der Kleine war. Wieder kam ihm der Gedanke, es könne seine Schuld sein, nein, es musste seine Schuld sein.
Doch der Kleine sagte nichts, zitterte aber weiterhin. Dann sah sich Schatten schnell um, der Regen peitschte zu Boden, weichte ihn auf und verwandelte die Erde in Schlamm. Langsam setzte er sich in Bewegung, entdeckte wieder den toten Körper seiner Mutter, wand den Blick traurig ab und sprang über sie hinweg. Er würde sie nicht wieder sehen, das wusste Schatten.
Es ist schwer jemanden zu verlieren, dachte er traurig und rannte los. Es schmerzt sehr,
als würde ein Stück des Herzen herausgerissen werden... Dann seufzte Schatten leise, rannte unter den Bäumen entlang so schnell ihn seine Pfoten tragen konnten und versuchte einfach nur schnell ins Trockene zu kommen. Er wollte wieder in sein Lager, da wo Menschen Dinge lagerten, die sie nicht mehr brauchten und da, wo er lebte, seit er gegangen war. Er hoffte nur Kia hätte es gefunden, wäre in Sicherheit.
Dann kam er an den Rand des Waldstücks, vor ihm nur nasse Asche, die ich ihren eigenen, grauen Bächen davon trieb. Vorsichtig schüttelte er sich, achtete auf den Kleinen und suchte nach einem Versteck, als der Himmel hell erleuchtet wurde und krachender Donner an seine Ohren drang, kurz nachdem der Blitz etwas entfernt von ihm eingeschlagen war. Schatten wand den Blick hinüber zu dem Ort des Einschlags, entdeckte die verkohlten Überreste eines tragbaren Lagers, eines ‚Zeltes‘ und daneben ein großer Berg, Asche und Holz. Dort schien am meisten Asche zu sein, dort war das Feuer entstanden. Schatten knurrte leise, rannte dann aber weiter, über die trostlose Ebene, weg von Wald, Schmerz und Tod.